Nicht von ungefähr verzeichnet die deutsche Wikipedia ca. 1,3 Mio. Artikel (Stand: Januar 2012). Damit steht die deutsche Sprache an zweiter Stelle, nur die englischsprachige Wikipedia ist noch umfangreicher, und mit gut 3,8 Mio. Artikeln (Stand: Januar 2012) dreimal größer als die deutsche. An dritter Stelle kommt die französische Wikipedia mit knapp 1,2 Mio. Artikeln, gefolgt von Italienisch (ca. 875.000), Polnisch (859.000), Spanisch (854.000), Russisch (805.000), Chinesisch (784.000) usw. Der Umfang, den Wikipedia in einer Einzelsprache verzeichnet, korreliert demnach weniger mit der Zahl der Sprecher der jeweiligen Sprache (abgesehen vom Englischen an erster Stelle), sondern scheint eher mit dem Bildungsniveau der Sprecher dieser Sprache und der technischen Ausstattung und Infrastruktur in den jeweiligen Ländern verknüpft zu sein. Fassen wir alle Sprachen zusammen, so enthält die Wikipedia weltweit ca. 10 Mio. Artikel. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit besteht also die Möglichkeit, sich auf einfache Weise in mehreren Sprachen gleichzeitig einen Überblick über eine bestimmte Person, eine Sache, einen Sachverhalt, eine Stadt, ein Land usw. zu verschaffen.
Und seit Anfang Januar sind auch die beiden süditalienischen Ortschaften Faeto und Celle di San Vito in der deutschen Wikipedia vertreten! Bis zu diesem Zeitpunkt gab es zu Faeto in den folgenden 23 Sprachen einen eigenen Artikel in der entsprechenden Wikipedia: Català, English, Esperanto, Español, Français, Arpetan, Magyar, Italiano, 日本語 (Japanisch), Lumbaart, Bahasa Melayu, Nnapulitano, Nederlands, Polski, Piemontèis, Português, Armãneashce, Русский (Russisch), Sicilianu, Українська (Ukrainisch), Tiếng Việt, Volapük, Winaray.
Zu Celle di San Vito hingegen in den folgenden 22 Sprachen: Català, English, Esperanto, Español, Français, Arpetan, Magyar, Italiano, 日本語 (Japanisch), Lumbaart, Bahasa Melayu, Nnapulitano, Nederlands, Polski, Piemontèis, Português, Armãneashce, Sicilianu, Українська (Ukrainisch), Tiếng Việt, Volapük, Winaray.
Auch dies ist eine Besonderheit, die aus dem offenen System der Wikipedia resultiert, mit dem passionierten Vertretern eines Dialekts oder einer Minderheitensprache ein Forum zur Verfügung steht, die eigene Sprache zu präsentieren und damit ggf. aufzuwerten.
Dennoch wird Wikipedia besonders im universitären Milieu eher geschmäht als gelobt. Daran sind zum Teil die Studierenden selbst schuld, die (in der Vergangenheit) in unbeschreiblicher Dummheit komplette Passagen, wenn nicht gar komplette Artikel mit Inhaltsverzeichnis und Bildern kopiert und diese als eigenständige Leistung deklariert haben. Dass es für diese Form des geistigen Diebstahls allerdings nicht unbedingt Wikipedia braucht, haben uns im vergangenen Jahr u.a. der ehemalige Verteidigungsminister und eine FDP-Politikerin demonstriert. Jedenfalls hat das Copy&Paste-Syndrom zu einer totalen Ablehnung von Wikipedia auf Seiten vieler Professoren und Professorinnen geführt.
Kritisiert an Wikipedia wird häufig auch, es sei nicht zitierfähig, da die Seiten einem ständigen Wandel unterlägen und niemand sagen könne, ob die zitierte Stelle auch später noch vorhanden sei. Das stimmt nur bedingt. Es ist nämlich seit geraumer Zeit möglich, unter "Werkzeuge / Permanenter Link" einen zitierfähigen Link zu generieren, der garantiert, dass die Seite auch später noch genau in demselben Zustand erscheint, wie in dem Moment, als die Seite zitiert wurde. Beispielhaft wurden in der Linkliste unten für die Seiten Faeto und Celle di San Vito permanente Links generiert.
Als Quelle für eine Erstinformation sollte Wikipedia hingegen auch an der Uni nicht unterschätzt werden. Insbesondere seit Google bei Suchanfragen Wikipedia-Einträge nach oben rankt, sind diese häufig unter den ersten drei Treffern zu finden.1 Ob es sich dann tatsächlich um eine zitierfähige Quelle im wissenschaftlichen Sinne handelt, darf und muss in vielen Fällen angezweifelt werden. Eine kategorische Ablehnung führt da allerdings nicht weiter. Eher sollte den Studierenden die Kompetenz vermittelt werden, zwischen zitierfähigen und nicht zitierfähigen Quellen zu unterscheiden. Mit der Versorgung als Erstinformation ist eine der Aufgaben genannt, die Wikipedia auch im universitären Milieu erfüllen kann und soll. Wer jedoch für wissenschaftliche Arbeiten ausschließlich auf Wikipedia zurückgreift, hat an der Hochschule nichts verloren.
Abb. 1: Artikel Faeto in Wikipedia

Von der Rezeption zur Produktion
Eine zweite wichtige Aufgabe, für die Wikipedia im Hochschulbereich genutzt werden kann, besteht in der Möglichkeit der aktiven Partizipation. Nur ein kleiner Teil der Rezipienten der weltweiten Online-Enzyklopädie beteiligt sich aktiv an der Weiterentwicklung und Verbesserung derselben. Das ist umso bedauerlicher, als diese Aussage auch für viele Hochschulangehörige gilt. Besonders im deutschen Sprachraum scheint dies zuzutreffen: „In Deutschland sind unter den Autoren der Online-Enzyklopädie so gut wie keine Wissenschaftler“ (Lutzi 2011: 946). Ein wahres Manko, eine verpasste Chance. Und dies auf vielen Ebenen.
Wikipedia böte nämlich die einmalige Chance, komplexe Inhalte darzustellen und auf diese Weise fundiertes Wissen zu verbreiten. Die Realität zeigt nun mal, dass viele Studierende häufig und zuerst in Wikipedia nachschlagen. Das gilt auch für das eigene Fach. Wer also der Meinung ist, seine Texte würden zu wenig von Studierenden gelesen, hätte hier die Möglichkeit, den Kreis der Rezipienten zu vergrößern.
Schreiben in Wikipedia
Im Folgenden soll daher kurz geschildert werden, auf welche Punkte man bei der Erstellung bzw. bei der Bearbeitung von Wikipedia-Seiten achten muss und welche Vorteile die Bearbeitung für Studierende und Lehrende haben kann.
Der Lerneffekt beim Verfassen von Artikeln besteht:
- im strukturierten Denken und Schreiben;
- im Verfassen von kurzen und verständlichen Beiträgen;
- im sachlichen und präzisen Formulieren;
- im Belegen von Behauptungen durch Quellen, diese müssen genau angegeben und nach den entsprechenden Richtlinien formatiert werden;
- im Nutzen von Vorlagen (Templates), die Wikipedia anbietet und die dem Verfasser von Artikeln Web-Techniken näher bringen;
- in einer strengen Peer Review durch die Community.
Dafür muss man nicht gleich komplette Artikel verfassen. Es reicht auch aus, schon vorhandene zu verbessern – und seien es am Anfang nur orthographische und stilistische Korrekturen. Das kann dann auch gleich zur Übung zum Editieren von Artikeln dienen. Denn nicht ganz unbegründet wird als Einstiegshürde immer wieder der – im Vergleich zu Word oder ähnlichen Textverarbeitungsprogrammen – umständliche Editormodus genannt. Auf der anderen Seite bietet Wikipedia sehr ausführliche Hilfestellungen für Anfänger und eine „Spielwiese“, auf der Einsteiger experimentieren können.
Im Folgenden sollen anhand des kurzen Artikels „Faeto“ verschiedene Techniken demonstriert werden, die in Wikipedia zum Einsatz kommen. Abb. 1 zeigt den Stand des Artikels vom 8. Januar 2012.
So kurz der Artikel ist, so aufwendig scheint das Layout zu sein. Es enthält:
- ein Inhaltsverzeichnis, das aus den Überschriften generiert wird;
- einen Kasten rechts (Infobox), der geologische und demographische Daten enthält;
- ein eingebundenes Bild;
- Überschriften, Formatierungen, Listen usw.;
- IPA Fonts;
- Weblinks.
Wenn wir uns nun den dazugehörigen Code im Editorfenster ansehen (s. Abb. 2), so zeigt sich, dass viele Elemente im Layout automatisch generiert werden, falls die entsprechenden Templates verwendet werden.
Damit der Artikel das typische Layout von Wikipedia-Artikeln erhält, müssen einige Konventionen beachtet werden:
- Überschriften erster Ordnung werden mit zwei Gleichheitszeichen (==Überschrift 1==) umschlossen;
- Überschriften zweiter Ordnung werden mit drei Gleichheitszeichen (===Überschrift 2===) umschlossen;
- kursiver Text wird mit zwei einfachen Hochkommata (''Text'') umschlossen;
- fetter Text wird mit drei einfachen Hochkommata ('''Text''') umschlossen;
- Verweise auf andere Artikel in Wikipedia werden in zwei eckige Klammern eingefasst ([[Link]]);
- Verweise auf externe Seiten werden automatisch erkannt, wenn diese die Form "http://www.beispiel.de/" haben, oder sie werden in einfache eckige Klammern eingefasst, wenn nicht die URL im Text erscheinen soll, sondern eine Beschreibung der Seite, zu der der Link führt ([Link auf externe Seite Beschreibung des Links]).
Schon mit diesen paar Anweisungen lässt sich ein einfacher Artikel gestalten. Werden die Konventionen eingehalten, so wird beispielsweise automatisch ein Inhaltsverzeichnis generiert. Auch die Links auf interne und externe Seiten werden mit Hilfe der Konventionen automatisch erzeugt. Für die meisten der genannten Formatierungen existieren im Editorfenster Buttons, die das Formatieren von Text vereinfachen.
Für den Artikel „Faeto“ wurden beispielsweise die folgenden Templates verwendet (s. Abb. 3):
- Vorlage Infobox Italien
- Vorlage Einwohnerzahl (EWZ)
- Vorlage Einwohner Datum (EWD)
- Vorlagen für Geokoordinaten
- Vorlage IPA
Abb. 2: Bearbeitungsfenster in Wikipedia

Die Nutzung solcher Vorlagen ist in jedem Fall sinnvoll und sollte auch für Anfänger kein Hindernis sein. So ist es beispielsweise kein Problem, eine schon vorhandene Seite mit ähnlichem Inhalt zu kopieren und dann auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen. In unserem Fall böte sich eine schon existierende Seite von einer kleinen Gemeinde in Italien an, die dann mit den Daten von Faeto überarbeitet wird. Durch die vorhandenen Templates wird die entsprechende Infobox generiert, d.h. es wird automatisch eine Karte generiert, in der mit Hilfe der Geodaten die genaue Lage von Faeto in Italien angezeigt wird. Durch die Vorlagen „Einwohnerzahl (EWZ)“ und „Einwohner Datum (EWD)“ wird mit Hilfe von Webservices auf die Daten von ISTAT zugegriffen. Der Verfasser des Artikels muss hierfür nur den entsprechenden ISTAT-Code recherchieren, damit werden dann die aktuellen Einwohnerzahlen aus der ISTAT-Datenbank ermittelt, übertragen und im Artikel mit dem entsprechenden Datum angezeigt.
Abb. 3: Der Code für die Infobox in Wikipedia

Motivation und Nutzen
Viele von den in Wikipedia verwendeten Schreibtechniken und Templates können für Studierende auch bei weiteren Arbeiten von Nutzen sein. Schon die Kenntnis, dass viele der angezeigten Daten automatisch generiert werden, vereinfacht nicht nur die Bearbeitung, sondern führt auch zur aktiven Nutzung und zum Verständnis modernster Techniken im World Wide Web.
Die aktive Teilnahme an der Bearbeitung der weltweit größten Online-Enzyklopädie kann helfen, den eigenen Schreibstil zu verbessern. Schließlich sind die Ergebnisse sofort sichtbar, werden von vielen anderen gelesen und rezipiert und, falls nötig, verbessert. Wikipedia kann so als erste Möglichkeit für Studierende dienen, publizistisch tätig und in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Wieso diese Möglichkeiten so wenig von angehenden und gestandenen Wissenschaftlern genutzt werden, ist eigentlich nicht zu verstehen. Schließlich hatte schon Alexander von Humboldt die geniale Idee, eine Enzyklopädie zu verfassen, die das ganze Wissen der Welt enthalten sollte:
Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen, wissen, alles in Einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt. Jede große und wichtige Idee, die irgendwo aufgeglimmt, muß neben den Thatsachen hier verzeichnet sein. Es muß eine Epoche der geistigen Entwickelung der Menschheit (in ihrem Wissen von der Natur) darstellen (Alexander von Humboldt an Karl August Varnhagen von Ense, Berlin, 24. Oktober 1834, in: Assing (1860: 20)).
„Fünf Bände des Kosmos verfasste der Universalgelehrte bis zu seinem Tode – und griff dabei auf ein bis heute einzigartiges Netz aus über 2.000 Wissenschaftlern und Gelehrten zurück, denen er am Ende seines Lebens gut 50.000 Briefe geschrieben hatte“ (Lutzi 2011: 946). Für die damalige Zeit ein wahrhaft einmaliges Unterfangen. Übertragen auf die heutige Zeit ist collaborative writing nichts Besonderes mehr: Mit dem weltweiten Zugriff auf Ressourcen des Internets werden zahlreiche Projekte von Gleichgesinnten und Begeisterten realisiert. Und Wikipedia steht allen offen, nicht nur technikbegeisterten Nerds, sondern auch Wissenschaftlern und Begeisterten aus geisteswissenschaftlichen Fächern. Dabei sollte nicht immer nur auf die Mängel und die Probleme der Online-Enzyklopädie hingewiesen werden. Vielmehr sollte auch im akademischen Umfeld das Beste aus Wikipedia genutzt werden. Und das besteht nun mal nicht nur aus dem passiven Lesen und Abschreiben, sondern liegt in der aktiven Nutzung und den daraus resultierenden Lerneffekten.
Anmerkungen
1 „Besonders erfolgsfördernd war die Symbiose mit Google. Schon nach den ersten Jahren des Bestehens wurden die Wikipedia-Einträge in den Ergebnissen von Google oft auf der ersten Seite, wenn nicht gar auf dem ersten Platz angezeigt. Für beide Angebote war dies von Vorteil: Wikipedia erhielt durch Google einen ständigen Zustrom von Lesern und wurde somit auch für Autoren attraktiver. Google konnte im Gegenzug seinen Besuchern ein Ergebnis liefern, das auf knappen Raum das gewünschte Thema anschaulich beschrieb“ (http://www.heise.de/ct/meldung/Zehn-Jahre-Wikipedia-1170046.html).
Literatur
Assing, Ludmilla (1860) (Hg.): Briefe von Alexander von Humboldt an Varnhagen von Ense aus den Jahren 1827 bis 1858, Leipzig.
Lutzi, Tobias (2011): Et tu, Minerva? Wikipedia und die Wissenschaft, in: Forschung & Lehre, 12, 946–947.
Internetquellen
http://www.heise.de/ct/meldung/Zehn-Jahre-Wikipedia-1170046.html
Permanenter Link auf Faeto in der deutschen Wikipedia: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Faeto&oldid=98155645
Permanenter Link auf Celle di San Vito in der deutschen Wikipedia: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Celle_di_San_Vito&oldid=98203765