1 Übersetzungen ins Rätoromanische: ein Vergleich

Diese Dieter Kattenbusch, einem der profiliertesten deutschen Rätoromanisten, gewidmete Festgabe schließt direkt an einen der vorerst letzten spezifisch rätoromanistischen Aufsätze des Jubilars an: an seinen Artikel Übersetzen und Sprachgeschichte: Übersetzungen ins Dolomitenladinische/Traduction et histoire des langues: traductions en ladin (Artikel 119b) im 2. Band des von Gerhard Ernst, Martin-D. Gleßgen, Christian Schmitt und Wolfgang Schweickard herausgegebenen Handbuchs Romanische Sprachgeschichte (Kattenbusch 2006). Vergleicht man diesen Artikel mit jenen von Giorgio Faggin zu den Übersetzungen ins Friaulische (Artikel 119a, Faggin 2006) und von Wolfgang Dahmen zu den Übersetzungen ins Bündnerromanische (Artikel 119c, Dahmen 2006) im gleichen Handbuch, so stechen vor allem drei Punkte ins Auge:

  1. das vergleichsweise späte Einsetzen von Übersetzungen ins Dolomitenladinische überhaupt (was gemeinhin mit dem Fehlen der Reformation in diesem Gebiet begründet wird, die in anderen (Minderheiten-)Sprachen zu zumindest partiellen Übersetzungen der Heiligen Schrift geführt hat);
  2. ihre nach wie vor geringe Anzahl und ihre deswegen geringe Auswirkung auf die Etablierung einer ladinischen Literatursprache; sowie
  3. das fast gänzliche Fehlen von Werken der Weltliteratur innerhalb dieser Übersetzungen. Ebenso selten sind Übersetzungen von solchen Werken, deren internationale Bekanntheit u.a. auch auf der Vielzahl ihrer Übersetzung beruht (etwa die Comic-Serien Asterix und Tintin (dt. Tim und Struppi) oder die bekannten Schweizer Kindergeschichten von Flurina oder Uorsin/Schellen-Ursli).1

2 Literarische Übersetzungen ins Dolomitenladinische

Nichtsdestotrotz spielen aber auch im Dolomitenladinischen Übersetzungen, insbesondere in der Anfangsphase der Verschriftung, mehr als nur eine marginale Rolle: Der erste gedruckte längere Text des Grödnerischen ist eine Übersetzung aus dem Jahr 1813 von Johann Peter Rungaudie (1753–1815): La Stacions, o’ la Via dêlla S. Crôush, che cuntêng dê bêlla cunshideraziongs, i uraziongs. Mettudês dal Taliang n’têl rushênê dê Gêrdeina da Piêrê Rungaudie, Benefiziat da S. Michiel. Stampà a Bulssang pra Carl Ushêp Weiss (vgl. Böhmer 1878: 88–92),2 und auch das „erste ladinische Buch“ von Matthäus Declara (1815–1884) ist eine Übersetzung: Storia d’ S. Genofefa, trasportada t’ nosc’ lingaz daò ’l canonico Smid. Prum liber lading (Brixen, Weger 1879).3

 - Portrait


Paul Videsott, Prof. Dr., Professor für romanische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Bozen (Brixen).
 - Portrait


Rut Bernardi, Dr. phil., Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ladinischen Abteilung der Freien Universität Bozen (Brixen).

Die Autoren, beide Ladiner, haben Dieter Kattenbusch im Zusammenhang mit seinen rätoromanistischen Tätigkeiten kennen und schätzen gelernt.
Rut Bernardi: Ich besuchte im Sommer 1989 gerade meinen ersten Surselvisch-Intensivkurs in Lags/Laax, als Dieter Kattenbusch dort den von ihm herausgegebenen Band mit Aufsätzen von Robert von Planta vorstellte. Ich erhielt danach ein Exemplar des Buches, das ich genauestens studierte, da ich damals an der Erstellung des „Handwörterbuch des Rätoromanischen“ an der Universität Zürich mitarbeitete.
Paul Videsott: Ich traf Dieter Kattenbusch zum ersten Mal in meiner Studienzeit, im Frühjahr 1994 in Eichstätt, als der Jubilar dort einen Vortrag zur Verschriftung des Dolomitenladinischen hielt. In den 15 Jahren danach folgten weitere Treffen in Vigo di Fassa (im Rahmen des SPELL-Projektes, das Dieter Kattenbusch aktiv unterstützte) und in Innsbruck, und zuletzt im Rahmen der Sitzungen des wissenschaftlichen Komitees der Zeitschrift „Ladinia“. Der größte Berührungspunkt zum Jubilar ist aber indirekter Natur als sein „Nachfolger“ im Projekt ALD (Teil 2) bei den Enquêten in der Dolomitenladinia (2001–2004). Den Informanten, die Dieter Kattenbusch 15 Jahre vorher mit dem Fragebuch des ALD-I aufgesucht hatte, war er in bester Erinnerung geblieben.

An die Übersetzung von Weltliteratur ins Ladinische hat sich unseres Wissens erstmals Jan Batista Alton (1845–1900) in seinem 1885 erschienenen Werk Rimes ladines in pert con traduzion taliana gewagt. Unter dem Titel „Versioni libere“ findet sich die Übersetzung von drei Gedichten Goethes (Mignon, Erlkönig, Rettung, vgl. Alton 1885: 94–96), nebst vier anderen Gedichten ohne Titel.4 Diese wurden zwar von der Fachwelt zur Kenntnis genommen, in Ladinien selbst scheinen sie hingegen weitgehend unbeachtet geblieben zu sein (ein Wiederabdruck des Alton’schen Erlkönig findet sich erst in Vittur 1967: 77).

Eine nennenswerte Übersetzungstätigkeit setzte in Ladinien erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ein und betraf neben Liedtexten vor allem Gedichte und Prosaerzählungen, die in den neugegründeten Zeitschriften (Nos Ladins) und Jahreskalendern (Calënder de Gherdëina, Calënder Ladin) publiziert wurden. Für diese Zeit herausragend sind die Stories de Anton Cechov (Urtijëi 1968) der Grödner Autorin Frida Piazza (*1922). Die Gründung der ladinischen Kulturinstitute in Vich/Vigo di Fassa (1975) und in S. Martin de Tor/St. Martin in Thurn (1976) förderte die literarische Übersetzungstätigkeit sehr. Das Institut in St. Martin in Thurn bevorzugte in seiner Anfangszeit die Übersetzung von Theaterstücken5 und von Südtiroler Literatur6 ins Ladinische. Das fassanische Kulturinstitut legte hingegen seinen Schwerpunkt auf die Übersetzung von Kinderliteratur (u.a. Projekt Contacontìes, bisher 31 Bände).7 Ab den 1990er Jahren wagte man sich erneut an die Übersetzung einiger Klassiker der Weltliteratur.8

Doch so wichtig die eben genannten Übersetzungen für die allgemeine schriftliche Verwendung des Ladinischen sind, so wenig konnten sie bisher zum Ziel beitragen, eine elaboriertere überlokale ladinische Literatursprache zu etablieren (so auch Kattenbusch 2006: 1367). Das liegt daran, dass sie ausnahmslos als Einzelwerk, als mehr oder weniger „private“ Leistung der einzelnen Übersetzer erstellt wurden; damit bleibt aber ihre Sprache notgedrungen dem lokalen Dorf- bzw. Talschaftsidiom verhaftet.9 Eine Analyse dieser Texte erweist auch, dass sich die meisten Übersetzer um ein möglichst „gutes“ (d.h. traditionelles) Ladinisch bemühen, sodass literarische Neologismen in diesen Übersetzungen Mangelware sind. Bemerkenswerte Ausnahmen bilden die bereits erwähnten literarischen Übersetzungen Frida Piazzas sowie jene Lois Craffonaras (Craffonara 1999; 2003; 2008), die beide den Neologismen große Aufmerksamkeit widmen. Beide versuchen auch lexikalisch eine literarische Sprache zu schaffen, die sich von der gesprochenen ladinischen Umgangssprache abhebt, wobei Craffonara revitalisierte Archaismen zu bevorzugen scheint, Piazza hingegen eigene Ad-hoc-Schöpfungen.10 Ein dritter ladinischer Autor, dessen Œuvre bedeutende literarische Übersetzungen umfasst (Goethe, Trakl, Hesse, Rabensteiner), ist Felix Dapoz (vgl. Dapoz 1982 sowie Suani 2009). Auch er bevorzugt in seiner poetischen Sprache den Einsatz von revitalisierten Archaismen.

3 Administrative Übersetzungen ins Dolomitenladinische

Lebendiger und sprachlich wirkungsvoller ist die Übersetzungsaktivität ins Dolomitenladinische zweifellos im administrativen Bereich, was durch die gesetzlichen Vorgaben zur Verwendung des Ladinischen in diesem Sektor bedingt ist.11 Interessanterweise scheint bereits lange vor dem Dekret Nr. 405 vom 15. Juli 1988, mit dem das Ladinische zur Amtssprache im Gadertal und in Gröden erhoben wurde (sowie dem Dekret Nr. 592 vom 16. Dezember 1993 als entsprechendem Pendant für das Fassatal), der administrative Bereich für Übersetzungen ins Ladinische bevorzugt gewesen zu sein. So gehen die ersten bekannten ladinischen „Proclami“ aus den Jahren 1631 und vom Beginn des 18. Jahrhunderts12 in ihren Formulierungen wohl auf gleichlautende deutsche Vorlagen zurück (vgl. Ghetta/Plangg 1987: 283),13 doch bei spezifischen Anlässen scheinen Verlautbarungen auch ursprünglich auf Ladinisch erstellt und erst nachträglich ins Deutsche bzw. Italienische übersetzt worden zu sein. Dies könnte beim ladinischen Text aus dem Jahr 1632 der Fall sein, der auch in einer italienischen Parallelversion vorliegt, der allerdings ein Satz fehlt. Aufgrund dieser Tatsache folgert Belardi (1991: 165), die italienische könne nicht die ursprüngliche Version des Textes sein.

4 Eine administrative Übersetzung aus dem Jahr 1811

Im Folgenden möchten wir einen Text vorstellen, der nach unserem Kenntnisstand die älteste sicher nachweisbare administrative Übersetzung ins Dolomitenladinische darstellt, das heißt, wo über den fremdsprachigen (deutschen) Ausgangstext sowie über den ladinischen Zieltext keine Zweifel bestehen, da beide vorliegen. Er stammt aus dem Jahr 1811 und wird im Pfarrarchiv von Calfosch/Kolfuschg im Gadertal (Südtirol) aufbewahrt.14 Es handelt sich um die Übersetzung einer am 9. Juni 1807 von der Bayrischen Regierung in München erlassenen Verordnung „Die Bestechung der Staatsbeamten betreffend“, die am 16. Juni 1807 auch vom bayrischen Statthalter in Innsbruck Karl Graf von Arco verlautbart und in gedruckter Form verbreitet wurde:

Im Namen Seiner Majestät des Königs.

Seine königliche Majestät haben mit Allerhöchstem Reskripte vom 9ten dieses allergnädigste anzuordnen geruhet: daß nachstehender Auszug der Allerhöchsten Verordnung de dato München den 9ten Junius laufenden Jahrs, die Bestechung der Staatsbeamten betreffend, alle Vierteljahre von den Kanzeln aller Orte verkündet werden solle.
1stens. Keinem Unterthan, der den einem königlichen Beamten in Dienstsachen etwas zu suchen und zu bitten hat, ist es erlaubt, diesem Beamten, oder dessen Angehörigen, oder anderen Vortheile zu geben, zu versprechen, oder durch andere geben, oder versprechen zu lassen, das Geschenk sey groß oder klein, bestehe in Geld oder Geldwerth. Wer einem königlichen Beamten solche Geschenke oder Vortheile giebt, oder anbietet, oder geben oder anbieten läßt, um sein Gesuch zu unterstützen, um besondere Gunst des Beamten für das Anliegen zu erlangen, oder gar um ihn von seinen Amtspflichten abwendig zu machen, der wird dadurch eines Verbrechens schuldig.
2tens. Wer vorgemeldetem Verbothe entgegen handelt, verliert nicht nur zur Strafe das Geschenk, sondern muß auch doppelt so viel, als das gegebene oder angebotene Geschenk beträgt, und nach Umständen 50 bis 300 fl. – als Strafe bezahlen. Auch wird der Geschenkgeber noch über dieses mit Gefängniß höchstens auf sechs Monate, und nicht geringer als auf einen Monat bestraft, wenn er den Beamten durch solche Bestechung von seinen Pflichten abwendig gemacht hat.
3tens. Wer einem königlichen Beamten in Amtssachen solche Geschenke anbietet, muß gewärtigen, daß er von diesem Beamten selbst beym Gerichte angezeigt und zur verdienten Bestrafung gebracht werde. Denn jeder Beamte ist, bey eigener Verantwortlichkeit und Strafe schuldig, jeden, der ihm solche Vortheile anbietet, bey Gericht anzuzeigen.
[Seite 2] 4tens. Wenn ein Beamter selbst so pflichtvergessen gewesen ist, daß er das Geschenk wirklich angenommen, oder sich bereit erklärt hätte, das versprochene Geschenk annehmen zu wollen, so darf der Unterthan, welcher diese Bestechung ausgeübt hat, nicht nur ohne Gefahr, sondern selbst mit der Aussicht auf Belohnung seine Handlung und den pflichtvergessenen Beamten der Obrigkeit, oder den Vorgesetzten dieses Beamtens anzeigen. Der Bestechende, welcher das Vorgefallene noch zeitig genug selbst angiebt, wird 1.) von aller wegen der Bestechung sonst verdienten Strafe frey, und 2.) wenn der Beamte vor Gericht straffällig befunden wird, so bekommt er nicht nur seine Geschenke wieder zurück, sondern es wird ihm auch noch über dieses die Hälfte der Geldbuße, in welche der Beamte verurtheilt wird, als Belohnung ausbezahlt.
5tens. Andere Unterthanen, welche von der vorgefallenen Bestechung eines königlichen Beamten Wissenschaft, oder gegründete Vermuthung haben, werden aufgefordert, der gehörigen Obrigkeit Anzeige davon zu machen. Wer dieses gethan, und dadurch Veranlassung gegeben hat, daß die Verbrechen zur Untersuchung gezogen und bestraft wurden, hat ebenfalls Belohnung zu erwarten. Ihm soll nämlich die volle Geldbuße, in welche der Verbrecher verurtheilt wird, als Belohnung ausbezahlt werden, und diese Geldbuße bestehet in der Regel bey dem bestochenen Staatsbeamten in dem vierfachen Werth des angenommenen Geschenks, bey demjenigen, der ihn bestochen hat, in dem doppelten Werthe des Gegebenen oder Angebotenen.
Diese Allerhöchste Verordnung wird also zur allgemeinen Kenntniß gebracht, und alle Vierteljahre von den Kanzeln aller Seelsorgkirchen über erhaltene Weisung der betreffenden geistlichen Dekanate zu verkünden seyn, worauf die königlichen Kreisämter und Landgerichte, auch alle Lokalobrigkeiten zu machen haben.
Innsbruck den 16ten Junius 1807.
Königlich Baierisches Gubernium in Tirol.
Karl Graf von Arco.
v. Strobl.

Der gedruckte deutsche Text befindet sich auf den Seiten eins und zwei eines Bogens Papier. Die handschriftliche Übersetzung folgt auf der ursprünglich freien Seite drei und trägt die Überschrift: Publicatum fuit die 26 Julii 1807 in Collefusco. et 8vo Sept. 1811. Nachdem der Zusatz „et 8vo Sept. 1811“ in der gleichen, etwas dunkleren Tinte geschrieben ist wie die nachfolgende Übersetzung, können wir davon ausgehen, dass ihre Niederschrift anlässlich der Proklamation der Verordnung an diesem zweiten Datum erfolgt ist.

Die Einleitung und den Schluss der Originalverordnung (im gedruckten Text beide fünf Zeilen lang) hat der Schreiber nicht übersetzt, sondern lediglich die fünf Bestimmungen selbst (im deutschen Originaltext 44 Zeilen lang).

Ladinischer Originaltext Übertragung in die moderne Orthographie15
Ai nom dél Rè d’ Baira. Al Rè i ale plasü d’ordené etc. A inom del Re d’ Baira. Al Re i ale plajü d’ordenè etc.
1. A degun Sudito, ch’ ha val da fà, ô da chirì por Signoria in côses che tocca a so ôffice, i elle lecito, an tal Officiante de Signoria, ô a valgün di sü, d’i conceder val ütel, d’impôrmàter, ô d’i dè pôr atri, ô d’i lassè impôrmater val regal sì po gran o pitse, in dinà, o valüta de dinà. Cal che cunced a valgün d’ Signoria val ütel, ô ch’i fes dé te regai, ô i perferass, ô i làsa dè, ô perferì por sostignì cal ch’al chir, por tsafè plœ sauri, pôr trà la Signoria sun süa pert, ô por la desviè incḩinamai a fà so obligo, ’n tal se fés in còlpa de ’n gran fàl. 1. A degun sudito, ch’ à val’ da fà o da chirì por Signoria in coses16 che toca a so ofize, i éle lecito, a n tal ofiziante de Signoria o a valgügn di sü, d’i conzeder val’ ütel, d’impormëter o d’i dè por atri, o d’i lascè impormëter val’ regal sii po gran o pice, in dinà, o valüta de dinà. Chël che cunzed a valgün d’ Signoria val’ ütel, o ch’i fej de te’ regai, o i perferësc, o i lascia dè o perferì por sostignì chël ch’al chir, por ciafè plö saurì, por trà la Signoria sun süa pert, o por la desviè inćinamai a fà so obligo, n tal se fej in colpa de n gran fal.
2. Chi che và cùntra cas urdén, ne perd demenà por castige ‘l regal, mô al vain cḩiamò cundanè a pajee ‘l dŏppel de cal ch’al ha dè, o impormetü de dè, e segunde les circunstanzes 50 incḩina 300 fl. de straufunga. E cḩiamò lapro vain ‘n tal ch’ unts la Signoria, e che l’ha destuta a fà l’ obligô so castiæ culla persun almanco d’un al plœ de sis mais. 2. Chi che và cuntra chësc urden ne perd demenà por castighe l’ regal, mo al vëgn ćiamò cundanè a paié l’ dopel de chël ch’al à dè, o impormetü de dè, e segunde les circunstanzes 50 inćina 300 fl. de straufunga. E ćiamò laprò vëgn n tal ch’ unc la Signoria e che l’à destuta a fà l’ obligo so, castié cula perjun almanco d’un al plö de sis mëisc.
3. Chi che perferass val Regal a valgün de Signoria in coses de justizia, ha d’aspetè dal real Offeciante instas dé gni de dant alla Signoria, por tsafè l’ castighe, ch’al merita. 3. Chi che perferësc val’ regal a valgün de Signoria in coses de iustizia, à d’aspetè dal real Ofeziante instës de gnì dè dant ala Signoria, por ciafè l’ castighe ch’al merita.
4. Se na persona de justizia metessa tan püc a verda al obligo so, ch’alla se lassasa unse, ô ch’alla se ’n essa lase fora de orai accettè val de te; se po un ch ha, o ha ôrü unse no demenà sanza pôra de castighe, mô incḩiamo cul istassa speranza de regal dè dant so fat, e la persona d’Office incolpada alla Signoria che s’aspeta. Call’ ch’ha, o ha ôrü unse, e che denunzia istass la cosa a tamp, e ora, a ’n tal 1. i vainel pôrdené düt ’l strauf, ch’al s’essa meritæ cul unse. 2. S’l’Officiante vain cḩiatè dant a Signoria in colpa, se ne tsafel demena l fate sò innaò, mô al tsafa cḩiamò de bona man mets i dinà, a chi ch’ l’ Officiant vain cundane de strauf. 4. Sce na persona de iustizia metëssa tan püch averda al obligo so, ch’ala se lasciassa unje, o ch’ala se n essa lascè fora de orëi azetè val’ de te; sce pò un ch’à o à orü unje, no demenà sënza pôra de castighe, mo inćiamò cul istëssa speranza de regal, dè dant so fat e la persona d’Ofize incolpada ala Signoria che s’aspeta. Chël ch’à o à orü unje, e che denunzia istës la cosa a tëmp e ora, a n tal 1. i vëgnel pordenè düt l’ strauf, ch’al s’essa meritè cul unje. 2. Sc’ l’Ofiziante vëgn ćiatè dant a Signoria in colpa, se ne ciàfel demenà l’ fateso inaò, mo al ciafa ćiamò de bonaman mec i dinà, a chi ch’ l’ Ofiziant vëgn cundanè de strauf.
5. Atres persones, ch’ha val notizia ch’al si ste unt pro [v]al persŏna de Signoria, ô sŏspeziun fundada, castes vain ammonides, de dè la denunzia alla Signoria. Cal che fes cast, e ch’a cas parti ha dè gausa, ch un vain samine, tsafè in colpa, e straufè, ha incḩie da aspetè la bona man. A n tal des ngi cumpedè sœ dutg i gros por regal a chi ch vain cundanà a paje de strauf chi ch è in colpa. E casta straufunga in dinà è determinada pôr solito por i Officianti de S(t)ato cater ôtes de plœ che cal ch’ ai ha retseü, e por cal ch’ ha unt, l’ doppel de cal ch’al ha dè, ô impôrmetü. 5. Atres persones, ch’à val’ notizia ch’al sii stè unt pro val’ persona de Signoria, o sospeziun fundada, chëstes vëgn amonides de dè la denunzia ala Signoria. Chël che fej chëst, e ch’a chësc partì à dè gauja, ch’ un vëgn jaminè, ciafè in colpa e straufè, à inće da aspetè la bonaman. A n tal dess gnì cumpedè sö düć i grosc por regal a chi ch’ vëgn cundanà a paié de strauf chi ch’é in colpa. E chësta straufunga in dinà é determinada por solito por i Ofizianti de Stato cater otes de plö che chël ch’ai à receü, e por chël ch’à unt, l’ dopel de chël ch’al à dè o impormetü.

Die Übersetzung ist namentlich nicht gekennzeichnet, doch aufgrund der in der Verordnung erwähnten Bestimmung, diese sei „in allen Seelsorgkirchen über erhaltene Weisung der betreffenden geistlichen Dekanate“ zu verlesen,17 kann man davon ausgehen, dass es sich beim Übersetzer um einen im Dekanat Mareo/Enneberg – zu dem die Kuratie Calfosch/Kolfuschg damals wie heute gehörte – wirkenden Geistlichen handelt. Aufgrund unserer Kenntnisse über die damalige Verlautbarungspraxis in Ladinien (vgl. Ghetta/Plangg 1987: 283) kann man davon ausgehen, dass den Seelsorgern des Dekanats Enneberg der deutsche Verordnungstext zugeschickt wurde und dann vor Ort ins Ladinische übertragen wurde. Diese Übersetzung erfolgte in den allermeisten Fällen mündlich, was nicht nur das Fehlen des Textes in den anderen Pfarrarchiven des Tales erklären würde (Überlieferungslücken sind natürlich nicht ausgeschlossen), sondern – allgemeiner – auch eine Begründung darstellt für die Seltenheit konkreter schriftlicher Belege für diese damals übliche Übersetzungstätigkeit bei öffentlichen Verlautbarungen (vgl. ebd.: 282f.). Womöglich haben die für die Rechtssprache typischen Schachtelsätze des deutschen Originaltextes, die bei einer spontanen Übersetzung wohl Schwierigkeiten bereitet hätten, den damaligen Seelsorger von Calfosch/Kolfuschg bewogen, seine ladinische Übersetzung auch schriftlich zu fixieren.18 Sollte diese Annahme stimmen, so wäre der Übersetzer identifiziert als Hw. Jan Mathias Costadedoi aus S. Ćiascian/St. Kassian, von 1803 bis 1818 Kurat von Calfosch/Kolfuschg.19

5 Zur Sprache der Übersetzung

Die Sprache des Textes bestätigt die Annahme eines Obergadertaler Übersetzers. Eindeutig ist <a> für [ë] (impôrmàter ‚versprechen‘, Cal che ‚derjenige der‘, perferass ‚bietet an‘, cas ‚dieser‘, mais ‚Monate‘, instas ‚selbst‘, fora de orai ‚ohne zu wollen‘, sanza ‚ohne‘, tamp ‚Zeit‘ usw.). Weitere obergadertalische Charakteristika sind plœ [plö] für untergadertalisches [plü] (vgl. ALD-I: 610), der fehlende Rhotazismus im femininen Personalpronomen der 3. Person (alla ‚sie‘) oder <per-> statt <por-> in Wörtern wie perferass ‚bietet an‘, persona ‚Person‘, persun ‚Gefängnis‘. Die spezifische Mundart von Calfosch/Kolfuschg, die sich um 1800 noch sehr deutlich von jener des angrenzenden Corvara unterschied, dringt in der Übersetzung kaum durch. Ein Hinweis auf eine lokale Form könnte die 3. Person des Konjunktiv Imperfekt auf -a (metessa tan püc a verda ‚so wenig Acht geben würde‘, se lassasa unse ‚sich bestechen ließe‘, essa ‚hätte‘) darstellen, die im Gadertal – im Gegensatz zu den umliegenden ladinischen Tälern – auf -ss auslautet. Heute hat auch Calfosch/Kolfuschg die Form auf -ss (was bereits von Alton 1879: 107 dokumentiert wurde), aber es ist nicht ausgeschlossen, dass um 1800 das damals noch zum Gericht Wolkenstein gehörende Dorf das „grödnerische“ -a aufwies.

Die Orthographie des Textes weist, neben den damals üblichen Anleihen an das italienische und deutsche System, auch einige spezifisch ladinische Lösungen auf. Auf italienischen bzw. etymologischen Einfluss geht die Verwendung von Geminaten zurück (côses che tocca a so ôffice ‚Dienstsachen‘, Officiante ‚Beamter‘, accettè ‚annehmen‘, ammonides ‚verwarnt‘, doppel ‚Doppel‘), die Verwendung des <h> in den Formen des Verbs avëi ‚haben‘ (ha val da fa ‚etwas zu tun haben‘, ch’ha val notizia ‚die Kenntnis haben‘) sowie die Schreibung <ce> für [tse] in Wörtern wie ôffice, Officiante, accettè, concedér ‚genehmigen‘, cunced ‚genehmigt‘. Im Gegensatz dazu wird für [če] <tse> geschrieben: pitse ‚klein‘, tsafè ‚bekommen‘, unts ‚schmiert‘ (i.e.: besticht), retseü ‚bekommen‘. Norditalienisch ist die einheitliche Wiedergabe von palatalen Sibilanten durch <s(s)>: lassè ‚lassen‘, fes ‚macht‘, persun ‚Gefängnis‘, mais ‚Monate‘, se ‚wenn‘, lassasa unse ‚bestechen ließe‘, gausa ‚Schuld‘, gros ‚Geld‘ usw. Eher auf deutschen Einfluss zurückzuführen ist die Schreibung des Halbkonsonanten [̯i] durch <j>: pajee, justizia. Typisch ladinisch ist hingegen die orthographische Kennzeichnung des postpalatalen Okklusivs, im Auslaut mittels <tg> (dutg), im Anlaut und im Wortinneren hingegen mittels <cḩ>: incḩinamai ‚sogar‘, incḩiamo ‚noch‘, cḩiatè ‚befunden‘, incḩie ‚auch‘. Diese Lösung nimmt jene von Micurà de Rü/Nikolaus Bacher vorweg (vgl. Bacher 1995: 39; Kattenbusch 1994: 68, 122). Eigenständig, wiewohl sehr wahrscheinlich aus dem Französischen übernommen, ist auch die Graphie <œ> für [ö] (plœ ‚mehr‘, cumpedè sœ ‚aufzählen‘ [i.e.: ausbezahlen]). Dieser Laut wird in der frühen gadertalischen Schriftlichkeit recht uneinheitlich wiedergegeben (Catalogus 1760 oe, eu, oe, eu; Haller 1832 ö; Bacher 1833 oeu, eu; Agreiter 1838 ō, vgl. Kattenbusch 1994: 120). Akzente werden sehr unsystematisch gesetzt, insbesondere auf mehrsilbigen Oxytona (desviè ‚abwenden‘, demenà ‚nur‘, innaò ‚zurück‘ vs. sauri ‚leicht‘, cundane ‚verurteilt‘, samine ‚geprüft‘, paje ‚bezahlt‘). Diesbezüglich gibt es zeitgenössische Parallelen, etwa die Akzentsetzung in der Grammatik der Grödner Mundart von Josef David Insam (ca. 1806). Die auffälligste orthographische Lösung ist <æ> für das auslautende [é] der maskulinen Partizipien im Singular der 1. Konjugation (castiæ culla persun ‚mit Gefängnis bestraft‘, ch’al s’essa meritæ ‚das er verdient hätte‘). <ng> für [ñ] in ngi (ngi cumpedè sœ ‚aufgezählt werden‘, es handelt sich also um das Hilfswerb gnì ‚kommen‘ [i.e. ‚werden‘]), muss verschrieben sein, da der Text ansonsten <gn> aufweist (sostignì ‚unterstützen‘, gni de dant ‚angezeigt werden‘).

Lexikalisch ist der Text, trotz seiner angestrebten juridischen Genauigkeit, nicht übermäßig von Fremdwörtern durchsetzt. Zu diesen gehören vor allem sudito ‚Untertan‘20 und lecito ‚erlaubt‘21; regal ‚Geschenk‘ scheint als Fachwort einheimisches scincunda ersetzen zu wollen. Italienisch beeinflusst ist cul istassa speranza ‚mit der gleichen Hoffnung‘ (d.h.: Aussicht auf Belohnung) statt medema speranza sowie sanza ‚ohne‘ mit [s] statt [ts], das aber im Gadertalischen bis heute latent gegeben ist (vgl. den oben zitierten Titel Janmatî sënza daćiasa, obwohl die Lautung /ts/ im betreffenden Wort als ladinische Charakteristik gilt). Lexikalisch interessant sind vor allem Baira, eine bisher im Ladinischen unbelegte Form für ‚Bayern‘, wohl entstanden aus einer Kreuzung zwischen der deutsch beeinflussten Form Paiern und romanisch Baviera;22 das mittlerweile abgegangene perferì, perferass ‚anbieten‘23, das auch in den Statuten von 1631 (lo porte et profiere prima alla signoria) und ca. 1703 (ma Soperfieri alla Signoria dell Lueg, Ghetta/Plangg 1987: 285, 292) belegt ist; cḩiatè ‚befunden‘ als mittlerweile abgegangene spezifisch kolfuschgerische Form zwischen gadertalisch ciafè (heutige Form laut ALD-II: 1032, so aber bereits in Alton 1879: 170) und grödnerisch giaté sowie das bisher ebenfalls unbelegte demenà ‚nur‘. Als Elemente der administrativen Sprache können Officiante ‚Beamter‘24, côses che tocca a so ôffice ‚Dienstsachen‘25, valüta de dinà ‚Geldwert‘26, desviè a fà so obligo ‚von seinen Amtspflichten abwendig machen‘27, segunde les circunstanzes ‚nach Umständen‘28, coses de justizia ‚Amtssachen‘29, denunzia ‚Anzeige‘30 sowie sŏspeziun fundada ‚gegründete Vermutung‘31 angesehen werden. Dagegen wird ein Schlüsselwort wie ‚Verbrechen‘ etwas umgangssprachlich durch gran fàl ‚großer Fehler‘32 wiedergegeben. Bonaman, in der Übersetzung für ‚Belohnung‘ verwendet, bedeutet heute hauptsächlich ‚Trinkgeld‘33. Syntaktische Italianismen sind das Fehlen des partitiven Artikels de in Atres persones sowie die Verwendung des Auxiliars ester ‚sein‘ statt gnì ‚kommen‘ [i.e. ‚werden‘] beim Passiv ch’al sii stè unt.

Schlussbetrachtung

Der hier vorgestellte kurze Text bringt für die ladinische Sprachgeschichte einige relevante Bestätigungen. Zum einen ist er ein weiterer Beleg dafür, dass die Ladiner bis ins 19. Jahrhundert hinein im Wesentlichen monolingual waren und deswegen Anordnungen der deutschen Obrigkeit ins Ladinische übersetzt werden mussten, um vom Volk verstanden zu werden (vgl. Belardi 1991). Zum anderen ist der Text ein Beweis dafür, dass auch Sachverhalte außerhalb der traditionellen bäuerlich-handwerklichen Bereiche im Ladinischen angemessen wiedergegeben werden konnten, was zumindest vermuten lässt, dass das Register des „administrativen Ladinischen“ im frühen 19. Jahrhundert entwickelter war, als man es heutzutage annehmen würde.

Anmerkungen

1 Im Gegensatz dazu gibt es z.B. von Asterix nicht nur einzelne Hefte auf Bündnerromanisch (vgl. Asterix ed ils Helvets, Cuira 1984; Asterix en l’America, Cuira 1994; 2005 DVD), sondern auch eines im deutschen Dialekt Südtirols (vgl. Asterix ba d’r Naja, Ehapa Verlag Berlin 2002, Übersetzer: Günter Heidegger). In diese Kategorie von Übersetzungen fallen aber die ladinischen Übersetzungen von Max und Moritz von Wilhelm Busch: gad. Pire y Paul, trad. Giuvani Pescollderungg 1977, grd. Max y Moriz, trad. Erica Senoner 1984.

2 Bei den „6 kleinen Erzählungen“ (Volksanekdoten auf Grödnerisch mit italienischer und deutscher Übersetzung), die in Steiner (1807: 45–49) abgedruckt sind, könnte es sich ebenfalls um Übersetzungen bzw. Adaptationen von Matthäus Ploner (1770–1845) handeln.

3 Die Geschichte der Hl. Genoveva des schwäbischen Kanonikus Christoph Schmid (1768–1854) wurde in zahlreiche andere Sprachen übersetzt, u.a. auch ins Bündnerromanische (Surselvisch): Veta de st. Gienoveva: ina dellas pli bialas e muentontas historias dell’antiquitat/componida da Christoph Schmid; transl. ell ramonsch entras [Gion Evangelist Riedi]. Nossadunnanun: Benziger 1837. Dekan Declara hatte bereits 1862 die Herausgabe eines ersten rein ladinischen Buches geplant, das ebenfalls eine Übersetzung gewesen wäre: Vita dla santa fancella Notburga da Rottenburg. In gausiung de sua canonisaziung scritta da n’g Pastor d’animes dla Diocese da Porsenù. Traduziung dall’original todeisc cun na ingjunta […] fatta da ng Sazerdote dl Decanato de Marò […]. Es ist aber Manuskript geblieben, obwohl das Titelblatt vorsah: Porsenù: Stampa dl Wegher 1862. Das religiöse Schrifttum hat auch nach der Zäsur der beiden Weltkriege wieder die ersten Übersetzungen ins Ladinische hervorgebracht: Johannes Baur: P. Joseph Freinademetz SVD, gad. La vita dl servo d Dì Usöp Freinademèz, trad. Anton Pizzinini 1950; Jakob Reimer: Christus, dramatische Dichtung, gad. La Redenziun. Passiun de nosc Signur in 5 actc, schöpferische Nachdichtung von Alexius Baldissera 1960.

4 Aus den Angaben Altons (1885: 88–94) lassen sich aber die Ausgangsversionen ermitteln: das Gedicht Oh bona vérgin, r’gína imacoláta aus Mätzner (1853: 66: Douce vierge, roine, nete et pure); Di, quël bèl jon qui mai vèl mo? aus Flugi (1873: 82: Chi me ais que famailg), Bëgn sovënz e própi bèla sòla und Dórmes chamó? Láva, descëdet’ na òta aus Burtin (1870: 224: Souvent sur la montagne, à l’ombre du vieux chêne; 276: «Dors-tu…?» Réveille-toi, mère de notre mère).

5 Diese wurden in der Serie „Teater“ veröffentlicht: Georg Stöger-Ostin: Das letzte Spiel, gad. L’ultimo jüch, trad. Maria Tolpeit, grd. L ultimo juech, trad. Franz Moroder 1993; Alois Gfall: ’s Hexenstückl, grd. L liber dai striunëc, trad. Franz Moroder 1983; Toni Gerlin, Anton Maly: Der ewige Spitzbua, gad. Le maradët, trad. Iustina Willeit 1984; Max Tribus: Das Mädchen von Spinges, gad. La möta da Spinges, trad. Lydia Zingerle 1984; Schönherr, Karl: Erde, grd. Tiëra, trad. Johann Moroder 1985; Walfried Ridi: Der Verlegenheitsbrief, grd. Na lëtra che mët sotsëura, trad. Johann Moroder 1986; Christoph von Schmid: Die Geschichte der Heiligen Genovefa, gad. Genofefa, trad. Tolpeit Maria 1992; weiters: Igor Strawinsky: Histoire du Soldat, grd. Storia dl Saudé, trad. Ulrike Kostner 1995.

6 Maria Veronika Rubatscher: Altgrödner Geschichten, grd. Vedla stories de Gherdëina; Der Lusenberger. Ein Künstlerleben, grd. Bera Śepl da Jumbierch, trad. Elsa Runggaldier 1981; 1992; Maria Luise Maurer: Der Krautwalsche, gad. Janmatî sënza daćiasa, trad. Lejio Lezuo/Giuvani Pescollderungg 1990. Maria Luise Maurer publizierte 1987 und 1990 die beiden Bücher Dolasila und Dolomites mit Gedichten, die sie in mehrere ladinische Idiome übersetzen ließ.

7 In das Ladinische des Fassatals übersetzte Theaterstücke sind Anton Tschechow: Der Heiratsantrag, fass. Veste me maridèr?, trad. Stefen Dell’Antonio Monech 1993; Ernst Raupach: Der Müller und sein Kind, fass. El Moliné e sia fia, trad. Giovanni Battista Costa 2006 u.a.m.

8 Den Beginn machte die Übersetzung des Petit Prince von Antoine Saint-Exupery (gad. Le Pice Prinz, trad. Giovanni Mischì 1993, grd. L Pitl Prinz, trad. Prinoth Beatrix 1993, fass. L Pìcol Prinz, Manuskript), es folgten A Christmas Carol von Charles Dickens (gad. Na ćiantia da Nadè, trad. Werner Pescosta 1997); The Call of the Wild von Jack London, fass. L chiam del bosch, trad. Riccardo Zanoner Zigher 1998; Berger sans étoile von Jean-Pierre Rochat, fass. Paster zenza steile, trad. Gabriela Pederiva 1998; Jonathan Livingston Seagull von Richard Bach (gad. Le gabian Jonathan Livingston, trad. Max Castlunger 2000); Historia de una gaviota y del gato que le enseño a volar von Luis Sepúlveda (gad. Storia de na gabiana y de n iat che ti à insegné da jorè, trad. Werner Pescosta 2001; grd. Cuntia de na gabiana y de n giat che ti à nsenià da julé, trad. Gudrun Mussner 2001, fass. Storia de na gabianela e del giat che ge à ensegnà a sgolèr, trad. Vigile Iori, Manuskript), Animal Farm von George Orwell (Le lüch di tiers, trad. Max Castlunger 2004), A Pál utcai fiúk von Ferenc Molnár (gad. I jogn dla strada Paul, trad. Pablo Palfrader 2006). Epochen- und stilübergreifend sind Menizles. Tradujedes de poesies curtes o pertes de poesies de n puë’ dut i stii y tempes (Urtijëi 1999) von Frida Piazza mit Übersetzungen ins Grödnerische von 149 international bekannten Autoren.

9 Dies ersieht man insbesondere an Parallelübersetzungen des gleichen Werkes in mehrere Idiome, die sprachlich teilweise stark divergieren. Als ein Beispiel sei der erste Absatz der gadertalischen und der grödnerischen Übersetzung der Historia de una gaviota y del gato que le enseño a volar analysiert, die beide von der gleichen Institution herausgegeben wurden. Gadertalisch: „Cajö él n tlap de sardines!“ â anunzié le gabian pilot y la schira de vicì dl faro Saorun Cöce gracedâ dala contentëza da avëi aldì la notizia. Al ê bele sis ores che i gabians jorâ zënza palsè y, scebëgn che i gabians piloć i â menè tres raiuns de aria ćialda fora, che al ê n plajëi da se lascè portè dal’aria sura l’ozeann, sintii le bojëgn de rové indô pro forzes, y porchël n’êl nia de miù co n bun past de sardines. / Grödnerisch: „Cajù iel na tlapeda de sardines!“ anunziova l gabian cundutëur y la turba de uciei dla Torlintierna Sablon Cueciun gracenova dala cuntentëza a audì la nutizia. L fova bele sies ëura che i gabians julova zënza paussé y, scebën che i gabians piloc i ova menei per raions de aria ciauda che l fova n plajëi se lascé purté dal’aria sëura l ozeann, sentivi l bujën de ruvé inò pra forzes, y perchël nia de miëur che n bon cëif de sardines. Die kurze Passage enthält unterschiedliche Neologismen (tlap/tlapeda de sardines ‚Sardinenschwarm‘, gabian pilot/gabian cundutëur ‚Leitmöve‘, faro/Torlintierna ‚Leuchtturm‘) sowie eine unterschiedliche Pronominal- (y porchël n’êl nia de miù/y perchël nia de miëur) und Temporalsyntax (â anunzié/anunziova [Plusquamperfekt/Imperfekt]).

10 Zur Sprache Frida Piazzas vgl. Belardi (1988: 5–14); zur Würdigung von Craffonaras Übersetzungen vgl. Valentini (2003). Craffonara ist nicht der erste Übersetzer bündnerromanischer Literatur ins Dolomitenladinische (vgl. Craffonara 2003: 15). Das bisher erfolgreichste Beispiel ist die Übertragung des engadinischen Liedes A la lingua materna [Chara lingua dalla mamma] von Gaudenz Barblan (1860–1916) in das Ladinische des Gadertals durch Alexius Baldissera (1895–1974), die als Bel lingaz dla uma cara mittlerweile zur „Inn ladin“ (Ladinische Hymne) geworden ist. Zwei weitere neuere Übersetzungen aus dem Bündnerromanischen sind Theo Candinas: Historias da Gion Barlac, grd. Stories de Giuani da Bula, trad. Rut Bernardi 1993 sowie Cla Biert: Il descendent, gad. Le descendënt, trad. Erna Flöss 1995; 2002.

11 Wir zählen die administrativen Übersetzungen zu den fachsprachlichen Übersetzungen ins Dolomitenladinische, als deren frühestes einschlägiges Beispiel, d.h. außerhalb des religiösen Schrifttums, die Instruziung d’agricultura de J. Samek, straportada nel Lading da C. Tammers 1895 gilt.

12 Dieses „Proclama“ wird in der Fachliteratur üblicherweise mit „1703“ datiert (vgl. Ghetta/Plangg 1987 passim), obwohl im Text selbst eine Datumsangabe fehlt. Aufgrund der genannten Personen kann jedoch ein Entstehungszeitraum zwischen 1703 und 1710 ermittelt werden.

13 Gemeinsame deutsche Vorlagen, die ihrerseits in den Kanzleien tradiert wurden, erklären wohl auch die Ähnlichkeit gewisser Formulierungen in den beiden ladinischen Texten, die mehr als sieben Jahrzehnte auseinanderliegen, insbesondere der Einleitungs- und der Schlussformeln (vgl. Belardi 1991: 156f., 166f.; Ghetta/Plangg 1987: 289).

14 Das Schriftstück wurde im Rahmen eines Projekts zur Inventarisierung der Pfarrarchive des Gadertals (Leitung: Dr. Bruno Klammer) von Dr. Gerda Videsott und Dr. Philipp Tolloi ausfindig gemacht, die uns freundlicherweise darauf hingewiesen haben, wofür ihnen herzlich gedankt sei.

15 Wie in anderen unserer Arbeiten (vgl. Bernardi/Videsott 2010; 2011) beschränkt sich die moderne Umschrift auf die Ersetzung heute nicht mehr üblicher Graphien sowie auf die Anpassung der Interpunktion; Phonetik, Morphologie und Syntax bleiben aber unverändert.

16 Die Orthographie mit <s> ist insofern kohärent, als das Wort in Calfosch/Kolfuschg effektiv mit [z] ausgesprochen wird, vgl. ALD-I, 197.

17 Die Verwendung der Kirchenkanzel für die Verlautbarung staatlicher Verordnungen ist in der Aufklärung üblich.

18 Dabei ist jedoch in der dritten Bestimmung ein ganzer Satz unübersetzt geblieben: Denn jeder Beamte ist, bey eigener Verantwortlichkeit und Strafe schuldig, jeden, der ihm solche Vortheile anbietet, bey Gericht anzuzeigen.

19 Vgl. Wolfsgruber (1971: 51). Zu seiner Biographie vgl. Palla/Canins/Dapunt (2010: 116): Jan Matteo Costadedoi wurde am 4. Jänner 1763 zu Costadedoi in S. Ćiascian/St. Kassian geboren. Er erhielt 1791 die Priesterweihe. Bis 1798 war er Kaplan in La Val/Wengen, bis 1800 in Santa Cristina/St. Christina in Gröden und bis 1801 wieder in Badia/Abtei. Anschließend wurde er bis 1803 Benefiziat in Ornela in Buchenstein und war vom 02.06.1803 bis 1818 Kurat in Calfosch/Kolfuschg, wo er am 10. Februar 1818 starb.

20 Mischì (2000: 702) bringt für ‚Untertan‘ sotmetü, Forni (2002: 458) sotmetù; den anderen ladinischen Wörterbüchern fehlt das Wort.

21 Mischì (2000: 279) und Forni (2002: 145) bringen für erlauben v.a. conzede(r) und pormëte(r); DILF (1999: 167), Comitato (1997: 275) und Masarei (2005: 599) haben aber lèzit(o).

22 Das Manuskript der Insam-Grammatik von 1806 (vgl. Videsott 2009) hat auf Seite 34 La Baviera. Mischì (2000: 139): Paiern, Poar; Forni (2002: 59) Paiern; in DILF (1999), Masarei (2005) und Comitato (1997) fehlt das Wort.

23 Heute in den nördlichen Tälern durch pité ersetzt.

24 Mischì (2000: 140): impiegat, funzionar, ofizial publich; Forni (2002: 59): mpiegà, mpiegat, peomter, funziuner; DILF (1999: 142): impiegat; Masarei (2005: 587) impiegat, mpiegat, scrivàn; Comitato (1997: 235): scrivan, scritural, jaibar, diornista.

25 Mischì (2000: 221): chestiun de laûr, materia d’ofize; das Wort fehlt in Forni (2002).

26 Mischì (2000: 341): valüta di scioldi, valur monetar; Forni (2002: 188): valuta di scioldi, valor di scioldi.

27 Mischì (2000: 70): dovëi d’ofize; in Forni (2002) fehlt das Wort.

28 Mischì (2000: 689): zircostanza; Forni (2002: 447): cundizion.

29 Das Wort fehlt sowohl in Mischì (2000) als auch in Forni (2002).

30 Mischì (2000: 89) bringt das Wort; Forni (2002: 29) hat nur plura.

31 Mischì (2000: 721) suposizion, ipotesa, sospet; Forni (2002: 474): mineda, suspet, suposizion.

32 Mischì (2000: 710): malfat, delit; Forni (2002: 464): delit.

33 Gelungen, da mit ladinischen Formen und gut verständlich, erscheint uns die Übersetzung von Angehörige mit i sü (Mischì 2000: 75 parënć; Forni 2002: 21 parënc).

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